08.02.22

Appell an die neue Landesregierung

Sachsen-Anhalt hat am 06. Juni 2021 einen neuen Landtag gewählt. Nach Wahl des neuen Ministerpräsidenten hat die neu zusammengesetzte Landesregierung im Herbst 2021 ihre Arbeit aufgenommen.

Unser Verband knüft daran große Erwartungen. Denn in der Vergangenheit haben wir jede Gelegenheit genutzt, um in Schreiben und Gesprächen die Landesregierung dazu zu bewegen, von uns als besonders dringlich erkannte Defizite in der Justiz, nämlich den Stand der Digitalisierung und die unzureichende Nachwuchsgewinnung, beherzt anzugehen und zu beheben.

Der Stand der Digitalisierung lässt nach wie vor zu wünschen übrig - auch nach einem halben Jahr im Amt lässt die Arbeit der Landesregierung kaum Ergebnisse erkennen.

Die Coronapandemie ab dem Frühjahr 2020 war Auslöser dafür, dass unser Landesverband mit drei weiteren Fachverbänden aus der Justiz einen Gemeinsamen Aufruf zur Digitalisierung gestartet hatte (zum Link hier klicken).

Unsere Beobachtungen zeigen, dass die Landesregierung nicht nur in der zurückliegenden Legislaturperiode zu unentschlossen agiert hat. Seit Anbeginn des Pandemiegeschehens ist es nicht gelungen, die Digitalisierung der Justiz erkennbar voranzubringen und vor allem Lösungen zu entwickeln, die die Justiz stärken und zugleich den besonderen Umständen des Pandemiegeschehens Rechnung tragen. Von einem pandemieursächlichen "Digitalisierungsschub", wie er in der Privatwirtschaft vielerorts zu spüren war, konnte in der Justiz keine Rede sein. Ein einziges Gericht im Land - das Landgericht Magdeburg - ist technisch dazu in der Lage, Gerichtsverhandlungen "im Wege der Bild- und Tonübertragung" (u.a. § 128a ZPO) durchzuführen und Verfahrensbeteiligte von außerhalb digital in den Sitzungssaal zuzuschalten. Andere Bundesländer sind zum Teil entschieden weiter als Sachsen-Anhalt, was Umfragen unter anderen Landesverbänden im Deutschen Richterbund und Erfahrungen von Kolleginnen und Kollegen zeigen. 

Vor der neuen Landesregierung liegen große Aufgaben. Und die Zeit drängt mehr denn je. Unser Landesverband erwartet, dass die neue Landesregierung - unterstützt durch eine parlamentarische Mehrheit, die den notwendigen Druck ausübt - den Handlungsschwerpunkt neu setzt und der Digitalisierung der Justiz ein deutlich höheres Gewicht verleiht als es bisherige Landesregierungen getan haben. Es muss rasch zu einer tatsächlichen Modernisierung der vorhandenen Strukturen kommen. Denn Digitalisierung ist vor allem eine Chance. So, wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben. Und in dem Tempo, in dem es bis jetzt vorangegangen ist, kann es nicht weitergehen. Es ist Zeit, dass sich diese Einsicht endlich durchsetzt und in Ergebnissen zeigt!

Aus Sicht unseres Verbandes gehört zur ganzen Wahrheit aber auch: Ohne zielgerichtete, innovative und effiziente Entwicklung digitaler Strukturen in der Landesverwaltung wird nicht nur die Justiz Sachsen-Anhalts alsbald für alle Bürgerinnen und Bürger spürbar an Handlungsfähigkeit einbüßen. Die Bewältigung der Coronapandemie kostete und kostet dem Bund und dem Land Sachsen-Anhalt enorm viel Geld. Geld, das an anderer Stelle fehlt und künftig fehlen wird. Wir wollen aber nicht, dass der Staat und vor allem die Justiz an Handlungsfähigkeit einbüßen, weil sich das Land wichtige Dinge nicht mehr oder nicht mehr wie gewohnt leisten kann. Die Erhaltung von Justizstandorten in der Fläche und die Gewinnung geeigneten Nachwuchses stehen vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der absehbar auch künftig angespannten Haushaltslage des Landes in einem Spannungsfeld. Um allen Bürgerinnen und Bürgern weiterhin effektiv und zeitgemäß Rechtsschutz anzubieten, bedarf es dringend einer Modernisierung der vorhandenen Strukturen, die auch nicht vor den Landesministerien Halt machen darf. Bewegt sich hier zu wenig und konzentriert sich die Politik nicht auf die zentralen Aufgaben eines modernen Staates, wird sich das Land eine handlungsfähige Landesverwaltung nicht mehr leisten können. Dem gilt es uneingeschränkt vorzubeugen.

Ziel von Justizpolitik muss es sein, schnell eine verlässliche elektronische Kommunikation für alle Rechtsanwender zu den Gerichten und den Staatsanwaltschaften einzurichten und schnell die Bearbeitung von Rechtssachen in den Gerichten und Staatsanwaltschaften in digitale Akten zu überführen. Analoge und digitale Doppelstrukturen müssen vermieden werden. Seit dem 01. Januar 2022 ist die elektronische Übermittlung von Schriftsätzen und Dokumenten an die Gerichte für einzelne Rechtsanwender (vor allem für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte) alternativlos und verpflichtend, was einen nächsten Entwicklungsschritt eingeleitet hat. Dahinter geht es aber nahezu ausnahmslos in Papierform weiter! Es wird ausgedruckt und in Papierakten weitergearbeitet. Das ist überhaupt nicht sinnvoll.

Es sollte außerdem schnell "Alltag" werden, dass jede Richterin und jeder Richter die Möglichkeit nutzen kann, Verfahrensbeteiligte virtuell an einer Gerichtsverhandlung oder einer richterlichen Anhörung teilnehmen zu lassen. Was mittlerweile in vielen Unternehmen (datenschutzrechtlich übrigens unbedenklich) üblich ist, darf vor der Justiz selbstverstänldich keinen Halt machen. 

Dazu und zu anderen notwendigen Schritten bedarf es einer großen Kraftanstrengung, zu der die neue Landesregierung bereit sein muss. Nichts weniger als das erwarten unser Landesverband und die in ihm organisierten Mitglieder. Ein "#moderndenken" reicht nicht, ein "#modernmachen" entscheidet.

In einem Appell an die neue Landesregierung machen wir auf diese Zusammenhänge näher aufmerksam. Der Appell steht hier zum Download bereit.

Zu weiteren Zielen unseres Verbandes geht es hier.