Halle. Der Richterbund Sachsen-Anhalt hat die aktuelle extremistische Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat – insbesondere für die Judikative, die rechtsprechende Gewalt im Staat – in der DRB-Veranstaltungsreihe „Justiz im Dialog“ thematisiert.
Vor Gästen aus Justiz und Politik wie etwa der Präsident des Landesverfassungsgerichts Sachsen-Anhalt Uwe Wegehaupt und die Staatssekretärin des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz Meike Herz, hielt zu Beginn Franziska Kehrer, Richterin am Oberlandesgericht Schleswig und Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Richterverbandes (nächstes Bild), einen Impulsvortrag zur Unabhängigkeit der Justiz. Sie betonte die richterliche Unabhängigkeit gemäß Artikel 97 des Grundgesetzes, sprach die Defizite in der Praxis an und warnte vor unterschiedlichen Gefahren für die Unabhängigkeit wie politische Ernennungsprozesse, Eingriffe in die Geschäftsverteilung, mögliche Dienstaufsichtsmaßnahmen und den Einfluss über die öffentliche Meinung, die Druck auf die Justiz ausüben könnten. Auch die mangelnde Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft, die durch ihre hierarchische Struktur und die Möglichkeit von Weisungen aus Ministerien besonders anfällig für äußere Einflussnahme sei, sah sie kritisch.
Um die richterliche Unabhängigkeit zu sichern, sprach sich Kehrer auf politischer Ebene für die Stärkung durch die Justizministerkonferenz, die Einrichtung von Bund-Länder-Arbeitsgruppen sowie die Fortführung des Pakts für den Rechtsstaat aus. Auf praktischer Ebene betonte sie die Bedeutung eines breiten Rückhalts in der Bevölkerung und die Notwendigkeit, den Bürgern die Bedeutung der richterlichen Unabhängigkeit stärker als bislang zu vermitteln. Hierzu sollten Gerichte und Staatsanwaltschaften vermehrt die Öffentlichkeit suchen, Entscheidungen in klar verständlicher Sprache erläutern und verstärkt auf Medienarbeit setzen, etwa durch geschulte Pressesprecher. Weitere Maßnahmen wie eine bessere Personalausstattung und eine stärkere Berufsethik mahnte sie als notwendig an, um das Vertrauen in die Justiz zu erhalten und zu fördern.
Als zweite Rednerin schilderte Monika Frackowiak, Präsidentin des Amtsgerichts Posen, (links auf dem Bildschirm) die Erfahrungen der polnischen Justiz unter der PiS-Regierung. Live aus Polen zugeschaltet beschrieb sie, wie versucht wurde, staatliche Institutionen – darunter die Gerichte, Staatsanwaltschaft und Medien – unter politische Kontrolle zu bringen. Nur mit erheblicher Verzögerung habe es eine Gegenbewegung in der polnischen Richterschaft gegeben, organisiert im polnischen Richterbund. Dabei sei von Beginn an die Strategie gewesen, die polnische und europäische Öffentlichkeit zu mobilisieren und deren Unterstützung zu suchen, indem etwa aktiv Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg erwirkt wurden. Frackowiak beschrieb, wie sich Richterinnen und Richter an öffentlichen Veranstaltungen beteiligten, Lichterketten und Versammlungen organisierten und sich untereinander stärkten, etwa durch Unterstützung bei Disziplinarverfahren. Sie betonte jedoch, dass die Situation in Polen weiterhin angespannt sei, da die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit nur teilweise gelungen sei. Insbesondere der polnische Präsident Andrzej Duda verhindere derzeit wichtige Reformen. Sie warnte zudem davor, dass eine erneute Regierungsübernahme durch die PiS den Widerstand deutlich erschweren würde. Auch zu der Frage nach der Loyalität der Richterschaft zur PiS-Regierung gab sie Einblicke: An ihrem Amtsgericht seien drei von 53 Richtern offen für die damalige Regierung eingetreten. Nur etwa zehn Richter hätten aktiv für die Unabhängigkeit der Justiz gestanden. Viele seien lange Zeit passiv geblieben, was sie als besorgniserregend empfand.
Die Erfahrungen verdeutlichen, wie wichtig es ist, das Thema Rechtsstaatlichkeit im Fokus zu behalten und sich dafür einzusetzen.